Anderwelten
Der Archetyp des Brunnens in Märchen, Sage und Wirklichkeit
Annäherung an das Thema
Es ist Anfang Januar, das Castello della Manta hat leider geschlossen. Die Sonne scheint, aber keine Bar hat draußen Stühle stehen. So lande ich vor dem „MaXiskonto“ im Zeltanbau einer Bar an der Bundesstraße von Mondovi.
Im Castello sind alte Fresken aus dem 14. Jahrhundert zu sehen. Eine Szene zeigt einen Jungbrunnen, den ich gern fotografiert hätte.
Das Brunnenprojekt will ich jetzt angehen.
Eigentlich der richtige Ort, da ich das Web selbst als zum Archetyp des Brunnens zugehörig erachte. Der, aus welchen Gründen auch immer – blau gehaltene Bildschirm bildet die Pforte, den Eingang zu einer Welt dahinter. Virtuell und gegenstandslos ist sie doch Teil der Wirklichkeit. Spätestens die Frage an eine Suchmaschine lässt mich eintauchen in einen Strom von Informationen. Ausgelöst durch meinen Wunsch nach einem Zugewinn von Erkenntnis, schlägt mir eine Welle von Antworten entgegen, die dem Gurgeln eines aufbrausenden Brunnens, Topfes, Geysirs gleicht. Ein Moment, der dem gleicht, den Odin an Mimirs Brunnen erfährt. Doch als Warnung: Odin muss als Preis für seine Erkenntnis eines seiner Augen lassen. Fürwahr ein hoher Preis. Und warum gerade sein Auge? Es hätte auch eine Münze sein können oder ein Finger, ein Zeh. Nein, es ist das Auge (das geistige wie das wirkliche Auge) – wiederum ein Archetyp des Brunnens.
Glücklicherweise besitzen wir derer zwei. Sonst müsste Odin blind durch die Welt stolpern. So aber erhält er als Lohn für seinen Tribut die Fähigkeit zu sehen – im Sinne eines Sehers. Eine Eigenschaft, die wir gern auch den ganz Erblindeten zuschreiben. Was er in jedem Fall verloren hat, ist die Fähigkeit räumlich zu sehen. Mit dem stieren Blick eines Monokularen schaut er die Welt. Ja, wie? Anders! Blickt er durch sie hindurch? Es geht die Sage, er könne durch die Zeit schauen. Als wären alle Dinge (und Ereignisse) gleichzeitig.
Als göttliches Zeichen steht das geöffnete Auge in einem Dreieck. Dreifaltigkeit, klar … aber das Auge? Eins, das alles sieht?
– Der Blick ins Internet ist ebenfalls monokular
Der Begriff „Brunnen“ gibt den zu beschreibenden Archetyp nur unzureichend wieder. Eigentlich ist der Brunnen ein Bauwerk, das den Strom des Wassers – ob ober- oder unterirdisch – fasst und sammelt, und somit für den Menschen nutzbar, bequem erreichbar macht.
In diesem Sinn hat das Auge scheinbar nichts mit dem Brunnen zu tun. Na, aber hallo, natürlich hat es was damit zu tun. Es ist nur kein Wasser, das hier gesammelt wird. Es ist Licht. Ohne das Auge würde das Licht recht wahllos umherirren. Es ist die in einer Kugel gefasste Augenflüssigkeit, die das Licht – einem Brennglas oder einer Kristallkugel gleich – bündelt und in das Innere des Wahrnehmenden weiterleitet. (Ob Maulwurf, Habicht Mensch oder Grottenolm)
Jetzt wird es langsam unübersichtlich. Es muss eine Ordnung her. Wie aber sieht die aus? Begriffe müssen geklärt werden. Was ist das geistige Auge, was ist virtuell, was ist ein Archetyp?
In welchem Zusammenhang stehen die Dinge, die unter dem Archetyp des Brunnens zu subsummieren sind?
Ein Zusammenhang sehe ich im Übergang. Von innen nach außen, Geburt und Tod, die Taufe, die Initiation, das Jenseits.
Vorerst möchte ich mich weigern, die Beschreibung des Archetyps auf einen Aspekt zu begrenzen. Ich möchte gern alle Aspekte beschreiben. Einige liegen mir näher. So bereitet mir der Anblick von Allegorien der Quelle eine größere Freude als die technische Darstellung von hydraulischen Brunnenspielereien mit beweglichen Figuren.
Was aber erstellt werden sollte, ist ein Katalog der Einzelabteilungen, die dieser Kosmos umfasst. Er kann als Leitfaden verstanden werden, zu dessen einzelnen Stichworten weitere Informationen zugetragen werden können.